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Fahr zur Hölle, Linksabbieger!

25.04.2005

Die übliche Einleitung: Also fuhr ich am vergangenen Montag fein durch die Wisbyer, die dick voll war. Stets an den Seitenstrassen war genügend Platz, um ein paar zehn Meter Stau zu überwinden und mich langsam, aber doch schneller als der Durchschnitt der Ampel zu nähern. Wie ich auf diese Weise die Gudvanger Strasse passierte, schoss aus einer Lücke im Stau plötzlich ein Linksabbieger von der Gegenspur hervor und wollte in die Gudvanger abbiegen.


Der Unfallhergang, schematisch
Ich hatte keine Zeit mehr, auszuweichen oder zu bremsen oder sonst zu reagieren. Sehr dicht links vor mir war plötzlich eine Kühlerhaube und hat es laut PENG gemacht. Das nächste, woran ich mich erinnern kann, war meine Seitenlage auf dieser Kühlerhaube, aus der ich das zerschundene Schwein vor den Stossfängern des Übertreters liegen sah. Ich richtete es auf und trat es an; zu meiner grossen Beruhigung propperte der Motor gleich los und liess sich auch nicht aus seinem gewohnten Gleichtakt bringen.

Allerdings war das gute Tier etliche Zentimeter kürzer als vorher, Steuerkopf war halb in den Rahmen gefaltet, das vordere Schutzblech blockierte das Vorderrad und das linke Knieblech war durch den direkten Treffer sauber bis an den Rahmen gefaltet. Die Tussi stieg aus ihrem Wagen und frug, ob mir was wehtäte; ich verneinte das zunächst und forderte sie auf, Angaben zu Person zu machen. Sie rief die Bullen und erzählte mir was vom Anwalt; da begann ich innerlich schon zu lachen, denn sie hatte mich direkt angefahren und war die Lage also schon eindeutig.

Ihre Erklärung, sie habe mich nicht gesehen, sollte vor Gericht nichts bewirken; ausser ggf der Anordnung eines Sehtests.

Zunächst kamen aber die Sanitäter. Auf deren Frage fiel mir bereits ein, dass mir das Knie wehtäte, ich mich aber selbst darum kümmern würde. Als sie sahen, dass ihre Künste hier nicht gebraucht wurden, schienen sie froh und begannen, mich ob des Schweins zu bemitleiden; gemeinsam knieten wir daneben und begutachteten die Schäden. Ich beruhigte ihre Sorgen aber etwas, als ich ihnen zeigte, wie fein der Motor noch läuft und versprach, dass wir das alles schon wieder hinkriegten. Sehr nette Sanis.

Nach den Sanis kam die Feuerwehr. Die deutete auf die drei Tropfen Öl unter dem Schwein und frugen, ob da noch mehr käme. Ich erläuterte ihnen das Konzept der Lüftungsschlitze, aus denen nur dann etwas Öl läuft, wenn das Tier am Boden liegt; richtet man es wieder auf, gibt sich das. Man sah deutlich in ihren Gesichtern, wie sie sich die technischen Gegebenheiten bildlich vorstellten, sie begutachteten und dann zu dem Schluss kamen: Wenn es sich so verhält, dann kommt ausser den drei Tropfen auch nichts mehr.

Auch die haben noch sehr nett das Schwein bemitleidet, nachdem sie die Reste eines hässlichen Ford-Escort-Frontscheinwerfers zusammengefegt hatten.

Schliesslich kamen die Bullen. Die hatten spürbar keine Lust, irgendwas zu tun ausser die Personalien aufzunehmen und die Unfallteilnehmer zum Austausch dieser Aktenzeichen-Zettelchen zu nötigen. Der Feind hiess [Name auf Bitte des Unfallgegners entfernt] und konnte weder "Allianz" noch "Ford Escort" fehlerfrei notieren; solche Gegner hat man gern im Rechtsstreit.

Die Bullen haben sich nicht mal wirklich darüber beschwert, dass ich den Versicherungsschein nicht dabeihatte und das Typenschild vom letzten Lackieren noch zu Hause lag, statt am Steuersatz zu kleben.

Die Bullen haben mich auch nicht aufgefordert, mit diesem Schwein nicht mehr zu fahren. So tat ich nicht mal was verbotenes, als sie wegfuhren und ich zunächst daran ging, die Blechteile wieder auseinanderzufalten und so Fuss und Vorderrad den Spielraum zu verschaffen, den sie zum Fahren brauchen. Es kostete mich einige Urgewalt und am Ende schruppelte eine Schraube vom Schutzblech noch etwas am Vorderrad, aber nicht viel. Das Vorderrad eierte ohnehin so, dass es auf sowas auch nicht mehr ankam.

Trotzdem es also schwerverletzt war, fuhr das Schwein noch. Im Geradeauslauf - wenn man das so nennen kann - zeigte der Lenker zwar etwas nach links, und schneller als 50 mochte es mit dem angeditschten Vorderrad und dem schiefen Steuerkopf nicht mehr fahren. Mit wehenden Lackfetzen trug es mich aber nach Hause, wobei der madmaxartige Anblick selbst die vorbeischnürenden Türken zu respektvollen Blicken nötigte.

Der Tag endete, indem ich mir Zuversicht einredete: Dass es alles noch viel schlimmer hätte kommen können, sowohl für mich als auch für das Schwein. Und dass es ein ums andere Mal ein grosses Glück sei, nicht selbst schuld zu sein - zumal angesichts teurer Personenschäden.

Ich rief noch meinen Mechaniker an, der zu dem Schluss kam, alle Fahrwerksteile incl. Rahmen müssten ausgetauscht werden. Beruhigt über die vermiedene Notschlachtung des Schweins, legte ich mich zu Bett und konnte sogar einigermassen schlafen. (Deutsche Eiche eben, das kriegen Sie nicht so schnell kaputt.)

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Am Dienstag humpelte ich zum Arzt, das heisst, zunächst ins Ärztehaus am Treptower Park. Ich hatte mir gedacht: Gerade für einen Kniegeschädigten ist es das beste, einen räumlich dicht entfernten Arzt aufzusuchen. Doch weit gefehlt! Da sitzen bloss Urologen, Hautärzte und so - Leute, deren Praxistüren ich ansah, dass sie mich gleich irgendwohin überweisen würden. Endlich fand ich eine Praxis für Allgemeinmedizin, klopfte und trat ein. Eine Dame sortierte Papierberge und warf mir zu: "Keine Sprechstunde!"

Ich schilderte kurz mein Problem, worauf sie sagte, da könne sie nichts machen; und sortierte weiter ihr Papier. Es sass dort aber auch noch eine zivil gekleidete Person, die mir immerhin verriet, dass die nächste Arztpraxis in der Kiefholzstrasse sei. Ich dankte der informativen Person und versuchte vergeblich, die Sortiererin mit Blicken zu töten.

In der Kiefholzstrasse - dahin mich zum Glück der Bus fuhr - sassen zwei Damen am Empfang. Deren eine hatte ein Kleinkind auf dem Arm, das ihre volle Aufmerksamkeit erforderte, und die andere telefonierte. Die mit dem Kleinkind frug um mein Begehr, hörte aber nicht auf die Antwort. Die Telefonierende hörte sie indes und beschied mir, da könnten sie auch nichts weiter machen; ich solle nach Neukölln in die Karl-Marx-Strasse 80 fahren. Ich bedeutete ihnen, dass ich nicht so gut laufen könne. Darauf die mit dem Kleinkind: "Na, Sie können sich auch hier hinsetzen, aber denn schicken wir Sie zum Röntgen nach Neukölln!"

Ich versuchte, drei Personen mit Blicken zu töten, und verliess fluchend diesen ungastlichen Ort.

Nachdem ich die drei Treppen wieder runter war und den Bus nach Neukölln gerade wegfahren sah, nahm ich ein Taxi und sprach: Bringen Sie mich bitte in die Karl-Marx-Strasse 80. Diese Adresse stand auf dem Zettel, den man mir in der Kiefholzstrasse gegeben hatte. Am Ziel angelangt, meinte der Taxifahrer: "Hier jibts keene achtzich." Ich schaute ihn an und bedeutete ihm, er täusche sich und möge seinen Ansatz nochmal prüfen. Nachdem der Lump auf meine Kosten einen Stadtplan studiert hatte, fand er die Nummer achtzig doch. Ich sah deutlich die Freude in seinen Augen, als er die EUR 3,20 für das kurze Stück kassierte und mir auf meinen Fünfer genau 1,80 rausgeben musste.

(Ich gebe sonst selbstverständlich und mindestens 10% Trinkgeld. Aber nicht Leuten, die mir erklären wollen, das von mir genannte Ziel existiere nicht.)


Das betroffene Knie von innen
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Ich verrate Ihnen was: Gehen Sie nie in Neukölln zum Arzt, wenn Sie was ernstes haben! Als Leichtversehrter können Sie im Wartezimmer sitzen und sich die ganzen Leute anschauen, wie sie ungeduldig auf die Arzthelferinnen einreden, warum hier alles so lange dauert und wie schlecht es ihnen geht; auf türkisch oder arabisch aber.

Da ich ganz nett war, nicht nach Knofi stank und auch sonst niemanden belästigte, kam ich verblüffend gleich dran. Eine Assistenzärztin diagnostizierte multiple Prellungen, wobei sie von einem Arzt angeschnauzt wurde: So wie Sie tasten, werden Sie sicherlich keinen Bluterguss finden. Gemeinsam fanden Sie aber doch genug zum Aufschreiben, wickelten alles ein, schrieben mich krank und schickten mich nach Hause. Es ist nichts ernstes, das irgendeiner Behandlung ausser Schonung bedürfte.

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Die Tage haben wir einen Artgenossen des Schweins in Fehrbellin aufgetrieben und wollen ihn am nächsten Wochenende - wenn ich auch wieder LT fahren kann - abholen. Beide Tiere werden dann zerlegt, eins wieder zusammengebaut und aus den übriggebliebenen Teilen der Ersatzteilpool aufgefüllt. Ich freue mich sehr, dass der Motor noch 1A läuft und im Zweifelsfalle einfach transplantiert werden kann, ohne viel Arbeit damit zu haben.

Die feindliche Versicherung will zwar zunächst nur den Wiederbeschaffungs- abzüglich Schrottwert erstatten, also praktisch nichts. Aber dafür werden sie Knie, Schulter, Fuss, Schreck und Verdienstausfall bis auf den letzten Cent bezahlen müssen; das sollte sämtliche entstehenden Kosten abdecken.

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Und noch ein Tipp: Tragen Sie statt DocMartens lieber solide Baumännerstiefel. Man mag sich fragen: Wozu ist eigentlich deren gepolsterter Schaft nützlich? Aber wenn Ihnen vom Feind das Schwein so gegen den Fuss gestossen wird, dass danach die Schnürsenkelösen zugefaltet sind - und Sie trotzdem nur einen blauen Fleck davongetragen haben, dann wissen Sie mehr darüber.